Przemyśl. Geschichte – eine Darstellungssache

Przemyśl („Pschemyschl“) steht (noch) auf den wenigsten Touristenrouten, entsprechend überschaubar ist das Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten, die sämtlich durch Sowjetcharme bestechen. Ich entscheide mich für das Hostel, eine gute Entscheidung., da ich alleine in meinem 4er Zimmer bleibe und die Betreiber extrem nett und hilfsbereit sind. Sauber ist es auch.

Ich war 1997 schon mal auf der Durchreise hier und fand es recht entzückend, darum bin ich mochmals hergekommen. Die Altstadt ist nicht komplett, aber doch teilweise restauriert, es gibt einen hübschen Rynek (Marktplatz) und jede Menge Kirchen. Es sind so viele, dass die Glocken selten und immer nur einzeln läuten, es würde sonst die Bausubstanz der Häuser angreifen. Ich besichtige etliche, bin aber irgendwann durcheinander, welche ich schon besichtigt habe und welche nicht. An diesem Punkt gebe ich auf und gönne mir eine Schokotorte. Es gibt ein kleines Museum, mit einem Fotostudio aus den Anfängen der Fotografie. Neben allerlei  kitschigen und sehr kitschigen Requisiten ist eine beeindruckende Ausstellung von Frauenportäts aus den 20ern zu besichtigen.

Przemyśl hat eine wechselvolle Geschichte, in der die Russen, die Tataren, die Polen, die Habsburger, die Nazis und die Sowjetunion eine wichtige Rolle spielen. Tatsächlich kann man um die Stadt herum noch etliche Bunker und dergleichen aus WWI und WWII  besichtigen.

Völlig totgeschwiegen wird hingegen die Geschichte der Juden. Bis 1939 lebten ca. 25.000 Juden im Großraum Przemyśl (ca. ein Dritel der Bevölkerung), die so gut wie alle getötet wurden. In einer englischen Broschüre, in der gefühlt jeder historische Stein erklärt wird, wird weder die Synagoge noch der jüdische Friedhof erwähnt. Die Synagoge ist halb verfallen, ebenso große Teile des Friedhofs, wo man sich durch Brennesseln einen Weg zu den Gräbern bahnen muss. Ich frage in aller Unschuld in der Tourist Information nach, leider kann der nette Herr keine Auskunft geben. Der polnische Wikipedia-Eintrag zu Przemyśl erwähnt die Sache auch nur sehr am Rande.

Warum das ist, bleibt unklar. Wahrscheinlich hat es etwas mit dem polnischen Geschichtsverständnis zu tun, aber ich bin keine Historikerin und will keine Hypothesen aufstellen. In Warschau gibt es eine Führung zum jüdischen Warschau, vielleicht weil es dort nachgefragt wird. In Lemberg wurde das jüdische Erbe auch von Rabbis aus den USA wiederbelebt.

Nachtrag vom 20.06.: im Museum der Stadt gibt es einen Raum zum Przemyśler Ghetto.

Auf den verschiedenen Friedhöfen fällt mir aber noch etwas ganz anderes auf: die Vögel machen viel mehr Lärm als bei uns und als ich umschaue, stelle ich fest: es gibt einfach sehr viele und zwar sehr viele verschiedene.

Frühstück nach der Ankunft mit dem Nachtzug. Es hätte schlimmer kommen können.
Der Rynek mit zwei Kirchen nach einem Gewitter
Die sehr charmante Altstadt
Frauenporträt aus den 20ern. Leider mit dem Handy nicht so gut zu fotografieren.
Der jüdische Friedhof. Auf dem Bild sind zwei Grabsteine
Der besser erhaltene Teil des jüdischen Friedhofs.
Der polnische Friedhof
Der Soldatenfriedhof.
Bunker, ich glaube aus der sog. Molotow-Linie der Sowjets
Anwärter auf die netteste Eisdiele Polens. Lody (Eis) und gofry (Waffeln, vom frz. gaufres) sind extrem beliebt.
Mein Zimmer. Kein Anwärter auf das gemütlichste Hostelzimmer Polens.

 

4 Kommentare

  1. Hallo,habe eben beim Aufwachen Deinen Bericht gelesen,weil ich hungrig bin,gefāllt mir besonders das Frūhstūchsfoto.Gutr Weiterreuse,e

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  2. Gugguck 🙂
    Ich habe gerade deine ebenso schön geschriebenen wie informativen Texte zu Warschau und „Pschemyschl“ gelesen und freue mich auf mehr.
    Viel Spaß bei der weiteren Suche nach dem besten Kuchen, der charmantesten Eisdiele und der gemütlichsten Unterkunft.

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