Belgrad – hätte ich so nicht erwartet

In Plovdiv ist es plötzlich Herbst geworden. Ein Tag hatte im Sommer begonnen, mittags war es heiß wie immer, nachmittags kam ein kalter Wind auf, am Abend war der Herbst da. Am nächsten Tag liegen die ersten Kastanien auf den Straßen.

Als ich Belgrad morgens um 6:00 aus dem Bus steige ist es so kalt, dass ich sämtliche Pullis und Jacken, die ich dabei habe, anziehe.

Belgrad ist eine erfreuliche Überraschung. Die Stadt ist viel schöner als gedacht und nach der obligatorischen Walking Tour weiß ich, dass es viel zu sehen gibt. Und: es gibt viele nette Kaffeehäuser in Wiener Tradition, in denen die Kuchenauswahl groß und die Musik nur Hintergrundgedudel ist.

Beschämt muss ich mir eingestehen, dass ich weder über Serbien noch Jugoslawien besonders viel weiß, obwohl ich natürlich auch die Jugoslawien-Kriege verfolgt habe. Etwas Klarheit bringt das Museum für jugoslawische Geschichte, in dem es nochmals eine eindrucksvolle Darstellung des Personenkults  um Tito gibt, aber auch einen ganz guten geschichtlichen Abriß seit 1900 und ein Videoprojekt, in dem Künstler, Wissenschaftler, Ökonomen zu jeweils unterschiedlichen Gegenständen aus der Tito-Zeit etwas sagen. Es geht in den Monologen um Kunst,  den Krieg, die Wirtschaft, einzelne Republiken, die Stellung der Frau etc. Die einen sagen Titos Jugoslawien war der Grund für den Krieg, andere sagen, Tito hätte eine Lösung gefunden.

Auch in der Stadt ist eine Zerissenheit spührbar, an vielen Stellen schwebt eine seltsame Atmospäre in der Luft. Auf einer Promenade hängen Plakte mit einem geschminkten Mann und werben für mehr Toleranz, an der Ruine des Verteidigungsministeriums hängt ein marzialisches Riesenposter, hier und da protestieren kleine Häuflein von sehr wütenden Nationalisten.

Am Nachmittag wird mein Besichtigungswille dann in den Plüschsesseln des Hotel Moskva erstickt. Ich trinke Tee, esse Torte, lese ein Buch und genieße den letzten kompletten Urlaubstag. Abends finde ich eine nette Bar, lese mein Buch und trinke mein letztes Urlaubs-Bier. Nach fast 4 Monaten Reisen und Besichtigen bin ich erst mal satt. Über vieles möchte ich noch mehr lesen, nachdenken und den Schwurbel in meinem Kopf entwirren. Aber erst mal geht es mit dem Nachtbus zurück in die Hauptstadt des Oktoberfestwahnsinns.

Belgrad hat mehr K&K-Charme als gedacht
Die französische Botschaft – da wäre ich auch gern Botschafterin
Von den ganz alten Häusern sind nur wenige erhalten.
Die Kriegsruine des Verteidigungsministeriums. Auf dem Poster steht:“Wer mutig ist, schafft es. Wer keine Angst hat, geht vorwärts.“
Die riesige Burganlage thront malerisch über dem Zusammenfluss von Sava und Donau.
In einem Burghof wird allerlei Kriegsgerät ausgestellt. Ein paar Italiener hinter mir haben Schnappatmung, ich bin maximal befremdet.
Das Museum für jugoslawische Geschichte ist ein Architektur-Highlight aus den 60ern und schafft etwas Klarheit im Wirrwarr der jugoslawischen Geschichte.
Jedes Jahr fanden zu Titos Geburtstag Staffelläufe statt. Die Staffeln wurden Tito dann überreicht. Ich bin von der Sammlung fasziniert  und nehme mir vor demnächst die Orte der Staffel nachzureisen (das Foto zeigt einen winzigen Ausschnitt).
Das Café im Hotel Moskva – wer möchte da je wieder aufstehen?
Die „Moskva-Šnit“ ist eine kalorös-pompöse Erfindung des Hauses.
Das letzte Urlaubs-Bier

7 Kommentare

  1. Komm gut heim du liebe und tausend Dank für die vielen schönen Eindrücke, die du mit uns geteilt hast. Es war eine Freude deine Reise mitzuverfolgen.

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    1. Ich freue mich auch schon auf den Russischklub, der Termin ist im Kalender eingetragen.

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