Sofia – back to Europe

„You want to go by train????“ fragt Mujde meine Airbnb-Gastgeberin. „We never do that.“ Trotz der Ansage gestaltet sich der Fahrkartenkauf für den Nachtzug von Istanbul nach Sofia einfach, es gibt einen zentralen Schalter unweit des Topkapı Palastes, die Frau am Schalter kann Englisch, das Zweierabteil kostet ca. 35 Euro. Der Zug selbst fährt allerdings nicht vom Zentrum aus, ein Shuttlebus fährt uns über eine Stunde in ein Industriegebiet, dort geht es dann 10 Min. zur Fuß durch eine Baustelle zu einem Gleis in the middle of nowhere, auf dem der Zug steht. Es fahren auch wirklich nur (sehr wenige) Touristen mit dem Zug. Ich habe mein Abteil für mich allein. Um 2:30 ist türkische Grenzkontrolle, für die wir aus irgendeinem für mich nicht erkennbaren Grund aussteigen und zu einem Schalter laufen müssen, als ich wieder zurück und eingeschlafen bin, kommt ein weiterer türkischer Grenzer und will nochmals den Pass kontrollieren. Ich bin entsprechend grantig. Dann kommt noch die rumänische Grenzkontrolle, die die Pässe einsammelt und nach 30 Min. wieder zurück gibt. Ich unterdrücke Mordgelüste mühsam.

Über das kleine Land Bulgarien ist wenig bekannt, am ehesten sind noch die günstigen Schwarzmeerstrände ein Begriff. Mit ca. 7,1 Mio. Einwohnern, wohnen im ganzen Land nicht mal halb so viel Menschen wie in Istanbul. Bulgarien grenzt an die Türkei, Rumänien, Serbien, Mazedonien und Griechenland. Hauptstadt ist Sofia, mit 1,2 Mio. Einwohnern die größte Stadt des Landes. Im Land wohnen vor allem Bulgarien, es gibt eine große türkische Minderheit, außerdem Griechen, Mazedonier, Rumänen und sehr viele Roma. Die genaue Zahl letzterer lässt sich nicht feststellen. Die Roma führen ein eher randständiges Dasein, das von Armut geprägt ist. Der Ministerpräsident heißt Bojko Borissow, ein Name, der wahrscheinlich den wenigsten geläufig ist.

Bulgarisch ist eine südslawische Sprache, geschrieben wird kyrillisch. Ich kann Geschriebenes gut verstehen, die gesprochene Sprache nur, wenn mein Gegenüber langsam über Vorhersehbares spricht. Ich versuche es damit, russische Sätze bulgarisch auszusprechen, funktioniert manchmal, meistens nicht. Ältere Menschen  können manchmal gut Russisch, jüngere Englisch.

In der bulgarischen Geschichte spielen die Griechen, die Thraker, die Römer, das osmanische Reich, Russland und die Sowjetunion eine große Rolle. Bulgarien gehörte 500 Jahre zum osmanischen Reich, erst der Russisch-Türkische Krieg 1877/78 brachte erneute staatliche Eigenständigkeit. Hier geht es zum Wikipedia Artikel.

Im Vergleich zu Istanbul ist Sofia ein ziemliches Kaff, wenn auch ein sehr nettes. Zahlreiche Cafés laden zum Rumsitzen und Nichtstun ein, es gibt etliche hübsche Restaurants, allerdings war es in Istanbul leckerer. Der Bio- und Regionaltrend hat Sofia voll erfasst, Craftbeer ist ebenfalls überall erhält und wohlschmeckend. Sofia wurde im WWII ziemlich zerstört, deshalb ist vom historischen Zentrum wenig erhalten. Trotzdem gibt etliche Sehenswürdigkeiten, die sich an 1- 2 Tagen abklappern lassen. Hervorzuheben sind die allenthalben bekannte Alexander-Newski-Kathedrale, die wunderschöne Kirche im Vorort Bojana (hier Bilder vom Innenraum, fotografieren ist verboten) und das Geschichtsmuseum, in dem es Gold der Thraker zu bestaunen gibt – und zahlreiche Ikonen. Während ich durch die Ikonensammlung wandle, frage ich mich, wieviele unzählige Ikonen ich schon besichtigt habe.

Zu meiner Überraschung liegt Sofia am Fuße des Witoscha Gebirges, wie in Almaty kann man mit dem ganz normalen Stadtbus zum Wandern fahren. Das mache ich natürlich auch, obwohl die neuen Wanderschuhe das Vergnügen etwas trüben. Bei meinen alten hat sich die Sohle in Kirgisien endgültig verabschiedet. Ich schleppe sie aber weiterhin mit mir herum, da Hanwag eine Neubesohlung garantiert und ich für meine Entenfüße nie wieder so bequeme Schuhe finde.

Langsam ist es auch Zeit wieder an zu Hause zu denken. Ich erhalte eine Bestätigung für den Russischklub, organisiere einen Spanischkurs und schreibe meinem Chef eine Mail. Ich freue mich schon auf meine Familie, Freunde und Bekannte, mein Bett, die elektrische Zahnbürste und bayerische Brezen.

Frl. Hase im Spiegel der türkischen Bahn
Wahrzeichen Sofias: die Alexander-Newski-Kathedrale. Die Kirche wurde 1912 fertig gestellt. Der russische Architekt A. Pomeranzew hat auch das GUM in Moskau entworfen
Vieles im Zentrum ist sozialistisch geprägt.
Die einzige erhaltene und tätige Moschee der Stadt. Der Einlass ist entspannter als in Istanbul. Ich ziehe die Kapuze meines Pulli über den Kopf, der Mann am Eingang nickt, passt schon.
In der Moschee sind ein paar Gläubige, die allesamt ihr Smartphone checken.
Eine der ältsten erhaltenen Kirchen
Im türkischen Bad ist heute ein Museum
Das Gold der Thraker – leider gibt es keine ausführlichen Erklärungen wie in Almaty zum Gold der Skythen.
Sämtliche Lenine und Staline sind in das Museum für sozialistische Kunst verbannt worden, . . .
in dem es viel Schreckliches zu besichtigen gibt.
Dazwischen gibt es aber auch Bilder, die ganz modern anmuten.
Sofia von oben. Von meiner Unterkunft aus bin ich in 30 Min. am Berg.
Die „Goldene Brücke“ ist ein Fluß aus Steinen. Ein sehr besonderes geologischen Phänomen und Ziel meiner Wanderung.
Auf der Hütte gibt es alles im Plastikgeschirr – ich bin entsetzt.
Es gibt auf Schritt und Tritt nette Lokale.
Töööörtchen – die Bulgaren sind für Süßes recht zu haben.
Eine alte Bekannte,  „Die Unbekannte“ von Kramskoj hängt in einem Café. Das Original ist eines meiner Lieblingsgemälde der Tretjakow-Galerie.
Nach den Wanderschuhen haben auch die Sandalen den Geist aufgegeben. Zum Glück hält das kirgisische Klebeband gut. Ich habe keine Lust weitere Zeit in Schuhgeschäften zu vertrödeln.

 

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