Istanbul – es wird exotisch

Der Flug nach Istanbul beginnt mit einem kleinen Aufreger: die Dame am Check-in findet mich nicht im System. Ich schaue in mein Postfach und entdecke eine Mail des Buchungsportals mit dem Betreff „Ihre Zahlung“, in der steht, dass meine Bank die Zahlung verweigert hat. Also sprinte ich zum Air Astana Büro und ergattere – wie ich dann im Flugzeug feststelle – einen der letzten Plätze.

Der Grenzer bei der Ausreise findet es komisch, dass ich auf dem Landweg eingereist bin und jetzt abfliege. „Von Bishkek nach Almaty fliegen macht keinen Sinn,“ werfe ich ein. Außerdem habe ich die Zeit des visumfreien Aufenthaltes fast ausgeschöpft, was ich denn gemacht habe. Ich zähle ein paar Sachen auf. Aus der Schlange hinter mir bohren sich tödliche Blicke in meinen Rücken. Anschließend erörtern wir noch die Frage, ob ich Russlanddeutsche bin und woher ich Russisch kann. Er blättert in meinem Pass, seufzt, blättert, schaut in den Computer, ich muss aufs Klo, er seufzt, schaut in den Computer, blättert in meinem Pass, ich muss wirklich dringend, er schaut in den Computer, seufzt, schaut mir in die Augen, seufzt, usw. usf., irgendwann darf ich gehen.

Zur Türkei und Istanbul  will ich niemand mit  Hintergrundinformationen langweilen, das Reiseziel mutet ja deutlich weniger exotisch an als die vorherigen. Viele waren schon mal in der Türkei und die politische Situation ist hinreichend bekannt. Wobei in Wirklichkeit paradoxerweise das Gegenteil der Fall ist, will heißen vor allem in der Ukraine, aber auch in Kasachstan und Kyrgyztan ist es viel weniger orientalisch und „exotisch“ als in Istanbul. Bereits am Flughafen ist es hektisch,voll, laut, überall wird gedrängelt und es riecht – nach allem möglichen. Der Mann in der kleinen Wechselstube, in der ich meine verbliebenen kasachischen Tenge in Lira tausche, ist derartig parfümiert, dass ich mich nur ganz flach atmen traue. Bei meinen Airbnb-Gastgebern stehen in jedem Zimmer Düftstäbchen.

Ansonsten sind die Leute so freundlich wie es das Klischee besagt, in der Metro vom Flughafen zur Unterkunft lerne ich Gükhan kennen, der mit mir eine Fahrkarte kauft, meine Tasche schleppt und den Weg erklärt. Während wir uns so unterhalten, fällt mir auf, dass er seit Berlin der erste offensichtlich homosexuelle Mann ist. Ich finde die Verkäufer und Restaurantwerber weniger aufdringlich als es das Klischee besagt, was aber auch daran liegen kann, dass ich als Restaurantkundin nicht so interessant bin. Den Bazar, wo man wohl ständig belatschert wird, streiche ich von der Liste der zu besuchenden Sehenswürdigkeiten, da es derer viele gibt und ich in den letzten Monaten mehrmals die Woche auf einem Bazar war. Ich finde ich es nicht gefährlich, es zupft niemand an meiner Handtasche oder versucht mir das Handy zu entreißen. Der Mann im Lokal neben mir lässt sein iPhone auf dem Tisch liegen, während er zur Toilette geht. Es ist auch ziemlich sauber, vor allem gibt es viele – und sehr reinliche – öffentliche Toiletten. Hierzu ein passender Artikel aus der SZ.

Allerdings ist es schon so, dass es ein paar Meter von der touristischen Altstadt entfernt ziemlich herunter gekommen ist. Auch unterscheiden sich die Viertel stark. Ich wohne in einem sehr europäischen Viertel, in dem es viele Cafés und Restaurants gibt. Die wenigsten Frauen tragen Kopftuch. Es gibt aber auch Viertel, in denen fast nur noch Männer auf der Straße sind, die wenigen Frauen tragen alle Kopftuch. Ich finde es nicht gefährlich, fühle mich aber nicht ganz wohl.

Am ersten Tag sehe ich mich auf dem sehr kurzen Weg zur Metro mit einer neuen Herausforderung konfrontiert. Es gibt 7 (!) Geschäfte, die Baklawa, Törtchen, Kekse und Nachspeisen verkaufen. Ich kneife in mein Urlaubsbäuchlein und versuche, mit mir eine Obergrenze zu verhandeln. Zum Glück sind die Versuchungen nicht ganz billig. Außerdem macht es total viel Spaß durchs Viertel zu schlendern – ich kürze die Liste der zu besuchenden Sehenswürdigkeiten weiter ein.

Dann geht es aber los. Da die Hagia Sophia, die blaue Moschee und der Topkapı Palast neben einander liegen, besichtige ich alles an einem Tag. Die Hagia Sophia (hier ein paar Bilder von innen) ist tatsächlich so schön, dass es mir die Tränen in die Augen treibt. Im Tokapı Palast hätte ich mich auch den ganzen Tag aufhalten können, der riesige Komplex ist zum einen unglaublich elegant und filigran, zum anderen wahnsinnig schön über dem Bosporus gelegen. Trotz der Besuchermassen – es ist Opferfest und es ist gefühlt die ganze Türkei vor Ort – lädt die Anlage zum Verweilen und Tagträumen ein. Die Blaue Moschee hingegen reisst mich nicht vom Hocker, im Iran und Usbekistan haben mir die Moscheen besser gefallen. Außerdem käselt es ganz furchtbar, was daran liegt, dass Touristen und Gläubige die Schuhe ausziehen müssen, es aber nur vor dem Eingang für die Gläubigen eine Möglichkeit zum Füßewaschen gibt.

Auf der Liste steht noch der 1856 errichtete Dolmabahaçe Palast, der bis ins 20 Jh. von den Sultanen und Atatürk statt des Topkapı Palastes genutzt wurde. Der ironischerweise von armenischen Architekten im eklektischen, europäisch-orientalischem Stil errichtete Palast beinhaltet sehr viel Farbe, Gold, Stuck und riesige Lüster, außerdem kostet er über 15 Euro Eintritt. Die arme Sultan-Mutter musste in pinken Gemächern wohnen, dafür hatten die sonstigen Haramsdamen ganz hübsche Wohnungen. Danach bin ich völlig erschlagen und flüchte ins Istanbul Modern, in dem es wie der Name schon sagt, moderne Kunst im großzügigem industriellen Ambiente zu besichtigen gibt. Ich atme auf.

Dann ist Montag und alle Sehenswürdigkeiten haben geschlossen. Ich fahre mit dem Bötchen 2 Stunden den Bosporus entlang zu einem Ausflugsziel, an dem es lecker Essen mit Aussicht gibt. Vom Wasser aus ist nochmals recht beeindruckend zu sehen, wie riesig die Stadt ist (14,8 Mio. Einwohner), wir schippern an immer noch einem bebauten Hügel vorbei, erst ganz zum Ende der Tour wird die Bebauung weniger.

Ich bedauere es zum ersten Mal, dass ich allein unterwegs bin, zum einen kann ich aufgrund meiner nicht vorhandenen Türkischkenntnisse mit niemanden ein Schwätzchen halten, zum anderen gibt es unglaublich viele leckere Sachen zu essen, zu zweit könnten wir viel mehr probieren. Außerdem würde es meiner Reisefreundin Tine hier sehr gut gefallen.

Dann ist die Zeit in Istanbul leider schon wieder herum und es geht per Nachzug weiter in die bulgarische Hauptstadt Sofia.

Die bereits 537 fertig gestellte Hagia Sophia war zunächst Kirche, dann Moschee, heute ist sie ein Museum.
Kiosk im Topkapı Palast
Der Harem – hier waren die privaten Räume des Sultans und seiner Ehefrauen
Blick vom Palast auf den Bosporus
Die blaue Moschee von innen
Straße im Stadtteil Beyoğlu
Der Dolmabahaçe Palast vom Wasser aus gesehen.
Detail des Palastes, innen ist fotografieren verboten.
Der Stadtteil Beyoğlu vom Wasser aus
Abendstimmung vom Bötchen aus
Straßenszene mit Sesamkringel-Verkäufer, diese gibt es an jeder Ecke
Weniger schicker Teil der Altstadt
Plakat mit Erdoğan, ich habe es nicht glauben wollen, aber Wikipedia ist tatsächlich gesperrt – und viele andere Seiten auch.
Tremor, Rumour, Hoover des Künstlers Alpetkin
Türkisches Frühstück – ja ich habe das bis auf das Nutella alles aufgegessen.
Mezze mit Bier, das fast so teuer ist, wie das Essen
Widerstand ist zwecklos
Dass die Türkei eine Pudding-Nation ist, war mir neu

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