„Doris!“, brüllt meine kasachische Bekannte Lejla begeistert ins Telefon als ich sie von Bischkek aus im Juli anrufe, „ein ganzes Leben ist vergangen.“ Damit hat sie nicht ganz unrecht, wir haben uns vor 22 Jahren bei meinem ersten Besuch in Almaty kennen gelernt und seit dem nicht mehr gesehen.
Lejla lebt heute in ihrer Heimatstadt Taraz, das bei meinem ersten Besuch noch Dschambul hieß. Damals haben wir hier ihre Eltern besucht. Heute holt mich Lejla mit ihrem Mann und den beiden Töchtern (10 und 17) ab. Sie selbst arbeitet als Dozentin an der Uni.
Taraz ist eine mittelgroße Stadt, in der kürzlich interessante archäologische Funde gemacht wurden, es gibt eine ziemlich große Ausgrabungsstätte, die wir natürlich auch besichtigen. Ansonsten verbringe ich die Zeit mit Lejla, ihren Töchtern und ihrer Schwester. Es gibt viel zu erzählen, was aber für den/die Blogleser/in nicht so interessant ist und außerdem der Schweigepflicht unterliegt.
Während meines Aufenthaltes steht ein großes Familienfest, ein sogenanntes „Toj“ an. Lejlas Akademikerfamilie steht solchen Festen verhalten gegenüber und feiert sie laut Lejla auch nur in vereinfachter Form. Lejla erzählt, dass seit der Unabhängigkeit die kasachischen Feste und Bräuche wieder aufleben, gerade in den Dörfern gibt es noch viele Menschen, die wissen wie es geht. Auch für das anstehende Fest rückt ein Verwandter aus dem Aul (Dorf) an.
Der Sohn von Lejlas Bruder hat vor einiger Zeit geheiratet und seine (also auch Lejlas) Eltern müssen die Familie der Braut einladen und beschenken, als Ausgleich dafür, dass sie der Familie die Tochter genommen haben. Eigentlich hätte das schon längst geschehen müssen, aber wie gesagt so genau geht es hier nicht, es werden auch nicht sämtliche Familienmitglieder, sondern nur der engere Kreis eingeladen. Zunächst kommen die Gäste nach Hause, dabei muss es natürlich Unmengen an Essen geben, vor allem etwas aus teuerem Pferdefleisch und das Nationalgericht Beschbermak (viereckige Nudeln mit Hammelfleisch), für das ein Hammel geschlachtet wird. Hier gibt es alles mögliche zu beachten, z.B. dass die Sitzordnung der Gäste der Anordnung des Fleisches auf der Beschbermakplatte entspricht. Der höchste Gast ist der Vater der Braut, er erhält den Kopf, danach kommt die Mutter und so weiter, jeder/m steht ein bestimmtes Stück Fleisch zu, vor dem er/sie auch sitzt. Danach geht es weiter ins Restaurant. Spezielle Restaurants für solche Anlässe sind seit den 90ern wie Pilze aus dem Boden geschossen. Hier führt dann ein sogenannter „Tamada“ durch das Abendprogramm. Essen gibt es natürlich auch.
Ich selbst kann an dem Abend leider nicht dabei sein, da ich mir den Magen gründlich verdorbenen habe und mit einem Tee das Bett hüten muss. Ich schaue mir mit den Kindern etliche Twilight-Folgen in der russischen Synchronisation an und frage mich, warum immer noch ein Geschlechter- und Weltbild aus der 1950ern um den ganz Globus propagiert wird.
Am nächsten Tag bin ich fit genug, um Lejlas Eltern zum Resteessen zu besuchen. Die 22 Jahre sind natürlich an den beiden auch nicht spurlos vorüber gegangen, aber sie sind noch bei guter Gesundheit. Ich bin froh, dass mein Magen kein Beschbermak erlaubt, das ich nicht besonders mag. Allerdings kann ich von den vielen anderen leckeren Sachen auch so gut wie nichts essen.
Nach ein paar Tagen verabschiede ich mich dann wieder und bekomme natürlich noch etwas geschenkt, obwohl ich auch während des Aufenthalts absolut nichts, nicht mal eine Busfahrkarte, bezahlen durfte.