Kasachstan – ist auch schon rum

„Schwester“, sagt der Fahrer im Sammeltaxi zu der Frau neben ihm, „überall ist Korruption und wir gehen leer aus.“ So denken hier viele und ich kann es nachvollziehen, vieles ist hier nur mit Bagschisch möglich. Und die Leute ärgert es, dass sie so wenig von den Millionen aus den Bodenschätzen haben. In Astana bauen Stararchitekten tolle Häuser, auf dem Land gehen die Leute immer noch aufs Plumpsklo, in dem relativ zentralen Wohngebiet in Almaty, in dem ich wohne, sind nicht alle Straßen geteert. Auch wenn es hier viel weniger bescheiden ist als in Kirgisien, sehen die Leute natürlich, dass es besser sein könnte.

Interessanterweise scheint die Zensur aber nur mich zu stören. Alle deutschen Medien sind verfügbar, aber mein bevorzugtes russisches Nachrichtenportal www.meduza.io und etliches andere ist gesperrt. Da die Menschen hier generell recht gesprächig und neugierig sind, werde ich immer wieder mit einem sehr seltsamen Deutschlandbild konfrontiert, demzufolge Angela Merkel schwach ist, wir alle gerne die EU verlassen möchten und überall Araber sind, die uns islamisieren. Was insofern lustig ist, als ja die Kasachen auch Muslime sind, gerade überall Moscheen gebaut werden und mir so gut wie jeder erzählt, dass ein Verwandter in Deutschland lebt. Von der Abschlussklasse meiner Freundin Lejla leben außer ihr noch 4 Kommilitonen in Kasachstan. Ich vermute mal, dass der durchschnittliche Afd-Wähler nicht so arg zwischen einem syrischen und einem kasachischen Muslim unterscheidet, außer dass er letzteren vielleicht für einen Chinesen hält.

Ich denke, dass das Deutschlandbild etwas mit dem antiwestlichen Kurs Russlands zu tun hat und sicher auch damit, dass noch mehr Braindrain verhindert werden soll. Und es ist ja umgekehrt genau so: würde man in der Fußgängerzone in München, Passanten fragen, was sie über Kasachstan denken, es käme viel Sonderbares dabei heraus. Zumindest weiß hier fast jeder, wie unsere Bundeskanzlerin heißt, umgekehrt wissen das sicher nur politisch sehr gebildete Zeitgenossen.

Im Sprinter von Taraz nach Almaty ist nur noch der Platz vorne neben dem Fahrer frei. Das bedeutet 7 -8 Stunden Smalltalk, die Fahrer möchten auf so langen Strecken unterhalten werden. In diesem Fall ist es ein netter Tschetschene mit einer absurd klischeehaften Hakennase. Er möchte nicht über Tschetschenien sprechen, sondern über Autos. Seufz, es wird mühsam. Dass ich überall mit dem Fahrrad hinfahre, kann er sich so gut vorstellen wie ein Münchner, dem ein kasachischer Tourist erklärt, dass er alle täglichen Wege mit dem Pferd erledigt.

Interessanterweise gibt es in Kasachstan wie schon geschrieben eine starke Rückbesinnung auf alte Bräuche und die Religion. Weitgehend ausgeblendet wird dagegen die Sowjetzeit, bzw. die Stalinzeit. Ein Gespräch über die Sowjetunion beginnt und endet mit folgender Aussage: „Es gab Gutes und Schlechtes.“ Groll gegen die Russen wie die Ukrainer hegt keiner, im Gegenteil, die Kasachen finden, dass sie den Russen ähnlich sind. Das würde ich so nicht unterschreiben, aber tatsächlich sind die Russen hier recht „kasachisiert“, d.h. sie haben viel von der kasachischen Lebens- und Wesensart angenommen und selbst wenn sie nicht oder schlecht kasachisch sprechen, verstehen sie es gut – also die wenigen, die nicht zurück gegangen sind.

Tatsächlich war aber neben der Ukraine keine Sowjetrepublik so sehr vom Stalinschen Terror betroffen wie Kasachstan. Man geht davon aus, dass die Zwangskollektivierung und die darauffolgende Hungersnot 1/3 der kasachischen Bevölkerung getötet hat. Die nomadischen Kasachen waren in Klans organisiert, deren Oberhäupter liquidiert wurden, womit man einem Volk, das ja von der mündlichen Überlieferung lebte, gezielt die Identität nahm. Als wir bei Lejla ganz alte Fotos ansehen, sind viele Männer dabei, die die Stalinjahre nicht überlebt haben. Dazu kommt, wie ja schon geschrieben, dass ganze Völker (die Deutschen, die Krimtataren, die Tschtschenen, die Inguschen, die Kalmüken etc.) zu Hundertausenden hierher deportiert wurden. Nach dem WWII liegt der Anteil der Kasachen im eigenen Land unter 30 %. Dazu kommt eine massive Russifizierung, gerade meine Generation kann besser Russisch als Kasachisch. Gedacht wird dieser Opfer kaum, es gibt ein extrem verstecktes Denkmal zum Holodomor in Astana, ein ehemaliges Lager, das eine Gedenkstätte ist, und in der Stadt Shymkent ein Museum. Robert Kindler, Autor des Buches „Stalins Nomaden“ liefert dazu eine sehr gute Analyse, die Interessierte hier nachlesen können.

Das Denkmal zum Holodomor in Astana
Im Lager „Alshir“ wurden die Frauen von politischen Gefangenen interniert. Heute ist es eine Gedenkstätte.
Es wurde extra ein Eisenbahnwagon zum Gefangenentransport konstruiert. Dieser steht heute in der Gedenkstätte „Alshir“.
In Alshir gab es natürlich auch Kinder. Die meisten wurden ab einem bestimmten Alter in Kinderheime gebracht.
Russisches Haus in Almaty. Heute sind viele Russen zurück gegangen.
Denkmal zum WWII in Almaty. Viele Kasachen und Kirgisen haben an der Front gekämpft. Der Sieg über Hitlerdeutschland ist ein wesentlicher Bestandteil des kasachischen Geschichtsbewusstseins
Auf der Expo. Auf den Land hätten die Menschen lieber Kanalisation als eine Hauptstadt mit Gebäuden von Norman Foster.
Ich betreibe aber nicht nur schwarzen Tourismus, wann immer es geht, fahre ich in die Berge.
Ins Café gehe ich natürlich auch. Die Auswahl ist – vor allem in Almaty – riesig

 

3 Kommentare

  1. Zu Deiner langen Reise und den stets interessanten Berichten kann ich nur sagen : Chapeau !

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  2. Zu Deiner langen Reise und den stets interessanten Berichten möchte ich nur sagen : Chapeau !

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