Lviv – früher war alles … anders

Im Zug nach Lviv (Lemberg) muss ich an die Reise nach Lemberg vor 20 Jahren denken, bzw. an unsere Führung mit Boris Dorfman, einem der wenigen Holocaust-Überlebenden, durch das jüdische Lviv. Boris Dorfman, Jahrgang 1923, war 2 Jahre jünger als mein (damals bereits verstorbener) Vater und sah diesem so ähnlich, dass ich schlucken musste. Er war schon ein älterer Herr und kam mit einem Gehstock, doch das sollte täuschen. Tatsächlich führte er uns in einem Affenzahn von einem (meist nicht mehr vorhandenen) jüdischen Gebäude zum nächsten. Bei jedem Halt sprach Dorfman in einer ebenfalls unglaublichen Geschwindigkeit mit einer Mischung aus Jiddisch, Russisch und Deutsch auf uns ein. Bevor sich das Gesprochene wirklich setzen konnte, wies er mit seinem Stock nach vorne: „Kummt ich muss Euch noch was weisen.“ Und weiter ging’s im Sauseschritt. Hinterher haben wir erfahren, dass wir die erste Gruppe für eine derartige Führung waren und dass die Erfahrung positiv genug war, um sie zu wiederholen. Tatsächlich gibt es 0einen Dokumentarfilm über ihn aus dem Jahr 2014 (Trailer).

Mein erster Eindruck bei der Ankunft: alles ist wie früher, bis auf die Tatsache, dass der Bahnhof restauriert ist. Davor: aufdringliche Taxifahrer, Bettler, Alkoholiker, Buden mit Essen und Getränken. Da die Tram nicht vor dem Bahnhof abfährt (ремонт – Reparatur), gehe ich 10 Min. zur Haltestelle, dabei ist ob der Straßenverhältnisse auf dem Gehweg Vorsicht angesagt. Ich frage eine schicke Dame um die 50, ob hier meine Tram abfährt, als sie den Mund öffnet, sehe ich, dass etliche Zähne fehlen. Polen ist mehr als 1 Stunde Zugfahrt entfernt.

Was sofort auffällt: Russisch ist aus dem Alltag weitgehend verbannt, junge Leute sprechen als Fremdsprache Englisch. Da das Ukrainische dem Polnischen ähnlicher ist als dem Russischen, kann ich zwar viel verstehen, aber so gut wie nichts sagen.

Als ich ins Zentrum komme, bereue ich es, dass ich nochmals hergekommen bin. Das verträumte, romantische Lemberg gibt es nicht mehr, es ist eine Touristenhochburg geworden. Das Zentrum ist weitgehend restauriert, aber Lokale und Souvenirshops reihen sich aneinander. Eine Straßenband lärmt neben der nächsten. Daneben sitzen Babuschkas und verkaufen Blumen oder ein paar Stangen Lauch aus dem Garten.

Netterweise nimmt mich mein amerikanischer Airbnb-Gastgeber mit zum Abendessen mit einem ukrainisch-amerikanischen Freund. Wir sitzen auf dem Hauptplatz essen Pizza und trinken selbstgemachte Limonade. Ich bin wieder etwas versöhnt mit der Welt.

Am nächsten Tag lasse ich mich durch die hübschen Gassen treiben und ignoriere den Touristenrummel weitgehend. Tatsächlich hat sich Lemberg, einst Hauptstadt der Region Galizien, durch die Jahre sein internationales Flair erhalten, das mich damals wie heute eingenommen hat. Auch da scheint Polen weit weg. Früher lebten hier Armenier, Juden, Polen, Ukrainer und später auch Österreicher und Ungarn auf engen Raum zusammen. Vor allem zu KuK Zeiten (aber auch schon früher) gab es eine ausgeprägte Kaffeehauskultur, vor dem WWI lagen in Lemberger Cafés Zeitungen aus allen Metropolen der Welt aus. Und auch heute lässt es sich bei einem exzellenten Kaffee und einem Käsekuchen gut aushalten.

Ein paar Straßen weg von den Hauptsehenswürdigkeiten finde ich auch was ich gesucht habe, 3 Paare tanzen im Park hingebungsvoll Salsa zu Musik aus dem Ghettoblaster, an einer anderen Ecke spielt jemand Akkordeon, Kinder toben auf einem Spielplatz, es tut sich immer noch eine Seitengasse mit Cafés und Kneipen auf. Überall stehen Bänke auf denen Jugendliche knutschen, Eltern Kinder beaufsichtigen, Studenten albern und ältere Herrschaften plaudern. Lemberg hat wahrscheinlich die weltweit größte Dichte an Parkbänken pro Einwohner.

Aber das ist nur die eine Seite, in einem kleinen Park sitzen Alkoholiker und andere arme Gestalten, viele Rentner müssen mit 50 € im Monat auskommen. Auf der Hauptflaniermeile macht die Armee Werbung, der Krieg im Osten ist nur ein paar Stunden entfernt.

Natürlich mache ich auch Sightseeing. Die Kirchendichte ist hoch, aber nicht so ermüdend, da sie sehr verschieden sind, es gibt eine sehr mythische armenische, eine sehr barocke katholische und eine sehr goldene orthodoxe Kirche. Und eine ukrainische griechisch-katholische Kirche. Das ist eine Kirche, die dem orthodoxen Ritual folgt, aber dem Papst unterstellt ist. So wie ich das verstehe dürfen die Priester auch heiraten. Es gibt echt nichts, das es nicht gibt.

Heute geht es leider schon weiter, ich wäre doch noch gern ein paar Tage länger geblieben.

Der Marktplatz von Lviv – heute Treffpunkt von Touristen aus aller Welt
Die Oper – eines der vielen Highlights
Die charmante Kirche des Benediktinerinnenklosters – außerdem ist sie als einzige klein genug, dass sie auf ein Foto passt
Die armenische Kirche passt nicht aufs Foto, muss aber trotzdem mit dazu, weil sie die faszinierendste ist.
Ein ehemaliger jüdischer Hutladen. In Lemberg gibt es heute wieder eine kleine Gemeinde mit einer Synagoge.
Männer beim Schach – ein paar Meter weg vom Rummel ist es sehr beschaulich
Je länger ich da bin, um so mehr entdecke ich den Charme der Stadt
Leopold von Sacher-Masoch wurde am 27.01.1836 in Lemberg geboren. Hier seine Statue mit Frl. Hase
Der unvermeidliche Käsekuchen mit einem türkischen Mokka

 

 

 

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