Warschau – fast wie bei uns, nur in Polen

Für alle, die nicht lesen möchten, Fotos sind am Ende.

Nach zwei sehr gemeinsamen Tagen mit der wunderbaren Gesine in Berlin muss ich mich erst wieder auf’s Alleinreisen eingrooven. Während ich in Berlin einfach hinter Gesine hergedackelt bin und nach zwei Tagen nicht wirklich einen Überblick hatte, wo ich wohl bin, kann ich mich in Warschau wie durch ein Wunder sofort prima zurecht finden.

Warschau ist deutlich im Westen angekommen, es gibt die üblichen Ketten, die Rossmanisazia wurde bereits vor etlichen Jahren abgeschlossen. An vielen Stellen gibt es Radwege, verschiedene Leihradstationen werben um die Gunst der Fahrradfahrer, während früher jede Straßenüberquerung ein kleines Himmelsfahrtskommando war, halten heute die Autos am Zebrastreifen, Rauchen ist gefühlt noch verpönter als bei uns.

Trotzdem kommte es mir so vor, als ob eine gewisse Schwere über der Stadt liegt, besser gesagt eine Art Mief, der mir sehr bekannt vor kommt. Vielleicht es der Katholizismus, der mich an Niederbayern erinnert, oder der Postsozialismus/Kapitalismus, der mich an das Moskau der frühen 90er erinnert, oder die sicher beispiellos tragische Geschichte der Stadt und Polens. Oder es liegt an der augenblicklichen politischen Situation oder daran, dass die Gesellschaft relativ uniform ist. Es gibt bis auf Touristen kaum Ausländer, die Menschen weichen nicht von einer gewissen optischen Norm ab. Sogar Hippster sind selten. Ich weiß es nicht.

Das soll aber nicht heißen, dass es mir nicht gefällt, ganz im Gegenteil, ich fühle mich ziemlich wohl hier. Obwohl meine eigenen Kentnisse begrenzt sind, finde ich, dass polnisch eine der schönsten slawischen Sprachen ist. Und die Stadt bietet wirklich viel. Man kann hübsch auf dem riesigen Dachgarten der Unibibliothek flanieren, bzw. in der Sonne liegen, viele verschiedene Käsekuchen essen, an lauen Abenden Bier im Gartenlokal trinken, das Verdauungssystem mit deftiger polnischer Küche auf Trab halten, im hippen Café einen hippen Smoothie mit Chia-Samen anschauen (man könnte ihn auch trinken, ich mag aber Käsekuchen mit Earl Grey lieber) und Erdbeeren und Kirschen kaufen, die so schmecken wie früher der Sommer in Niederbayern.

Ich schaue natürlich auch pflichtschuldigst die hervorragend restaurierte Altstadt an. Tatsächlich ist keine Stadt im WWII so zerstört worden und tatsächlich ist auch keine Stadt so komplett wieder aufgebaut worden. Der Guide der großartigen Free Walking Tour sagt: „The bricks are not old, but the information they contain is old. It’s like a destroyed hard disk that was repaired.“ Ansonsten bin ich auf der Tour (und im Museum über den Warschauer Aufstand) ziemlich beschämt und froh, dass die sich der gesamte historische Zorn der Polen gegen die Russen richtet.

In kaum einer Stadt ist die neuere Geschichte derartig präsent wie hier (außen in Danzig natürlich). In einer Führung zum sozialistischen Warschau wird mir wieder klar wie tief die Abscheu gegen den Sozialismus und die Sowjetunion in den Polen sitzt. Und wie stolz sie sehr zurecht sind, mit der Solnidarnosc-Bewegung einen wesentlichen Beitrag zum Fall des Sozialimus geleistet zu haben.

Nicht zu unterschätzen ist dabei auch die Rolle der Kirche. Die Kirche war im Sozialismus der einzige Ort, an dem Versammlungen möglich waren und tatsächlich haben sich auch viele  Priester wie der ermordete Popiełuszko („Popiewuschko“) gegen den Sozialimus ausgesprochen. Und nicht zuletzt hat  Johannes Paul I sein Amt als Papst für den Umbruch eingesetzt. Nun ist der von meinen Brüdern ob seiner vielen Auslandsreisen als „polnische Flugente“ geschmäte Papst eine umstrittene Persönlichkeit, aber in unserer neueren Geschichte hat er einen wichtigeren Platz als viele Menschen in Deutschland meinen.

Recht spannend ist ein auch  Bummel durch das Stadtvietel Praga, wo ich in einem sehr sowjetischen Bau aus den 50ern wohne. Von außen pompös, von Ihnen extravagant (was an meiner Vermieterin liegt), die Bausubstanz – na ja. Könnte ich polnisch, könnte ich der Unterhaltung meiner Nachbarn folgen. Tatsächlich wurde Praga im Krieg nicht zerstört, so dass es  neben sozialistischer Pomparchitektur am Rand auch alte, aber sehr heruntergekommene Gebäude im Zentrum gibt – Praga war immer das Viertel der armen Leute. Im Zuge einer ziemlich brutalen Gentrifizierung werden die Gebäude nun luxussaniert und die Bewohner vertrieben – ein weltweites Phänomen, das auch vor Osteuropa nicht Halt macht. Darüber täuscht auch die „berlin-like“ Soho Fabrik in Praga mit Kunstprojekten und teuerem Biofood nicht hinweg.

Heute Nacht geht es dann weiter nach Przemyśl („Pschemyschl“) ganz im Osten.

Um das Vertrauen der Bevölkerung für den Kommunismus zu gewinnen, wurde die Altstadt restauriert, anstatt – wie sonst üblich – sozialistische Bauten zu errichten.
Ein Geschenk Stalins an den Bruderstaat. „We do not hate it. That is the best thing I can say about it.“, sagt die polnische Fremdenführerin.
Mein Lieblingsdenkmal, von den Warschauern zum hässlichsten Denkmal der Stadt gekürt. Es ist natürlich zum Sieg von jemand über jemand anderes. Da es auf eine Straßenbahnhaltestelle zeigt, heißt es: „Der Mann, der die Straßenbahn versäumte.“
Eine Hinterhofkapelle im Stadtviertel Praga. Die Kapellen wurden während des Krieges und im Sozialismius verwendet, wenn es zu gefährlich war, in die Kirche zu gehen.
Das ist kein Park, sondern das Dach der Unibibliothek

 

Die englisch-polnische Fotografin Ilona Karwinska hat Neon-Reklame aus dem Sozialismus gerettet. Jetzt gibt es ein ganz wunderbares Museum.
Berlin-Feeling in Warschau.

 

Meine Unterkunft von außen, Sowjet-Architektur der 50er.

 

 

6 Kommentare

  1. Hab ich echt den Papst geschmäht und noch dazu so unflätig? Ich kann mich nicht erinnern. Das gibt 30.000 Jahre Fegefeuer mehr. Mindestens.

    Antworten

    1. Doch, doch. Die Mutti hat sich natürlich aufgeregt. Aber eigentlich fand sie es auch lustig.

      Antworten

  2. Hallo Doris, komme erst heute dazu, einen Gruß zu schicken und eine weitere gute Reise zu wünschen, elektronisch wird ja Husten glücklicherweise nicht weiter geleitet.
    Elfi

    Antworten

  3. Liebe Doris,
    Heute erst komme ich nach dem ganzen aufregenden und wundervollen Hochzeitstrubel dazu, in deinem Blog zu schmökern. Das macht Spaß und Sehnsucht nach Reisen Inden „wilden Osten“; und ich fühle mich sehr geehrt, nun als „wunderbare Gesine“ veröffentlicht zu sein.
    Alles Liebe,
    Gesine

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert